Herz oder Vernunft

Herz oder Vernunft

Alltag

 

 

»Wo steckst du, verdammt?«

Die Stimme war laut, sie war aggressiv. Und sie jagte Laura einen eiskalten Schauer über den Rücken.

Wieder einmal hatte sie Zuflucht gesucht. Für einen winzigen Augenblick nur, doch wie konnte man Sicherheit in Zeit aufwiegen?

Ihr Magen verkrampfte sich, als die junge Frau einen Blick in den Spiegel über dem Waschbecken warf. »Was geschieht mit mir?«, wisperte sie so leise, dass niemand sie hören konnte. Kaum drangen die Worte an ihr eigenes Ohr - Simon würde sie erst recht nicht vernehmen.

Und das war auch gut so.

»Laura?«

Die junge Frau erbebte erneut. Sie wusste, würde sie jetzt nicht bald reagieren, würde sie nicht ihre Stimme erheben, ihrem Mann ein Zeichen geben, wo sie sich gerade befand, dann würde seine Geduld platzen. So war es immer. Egal was sie tat, es konnten nur Kleinigkeiten sein, Dinge, die andere für das Normalste auf der Welt hielten - sie konnten ihren Mann zur Weißglut treiben. Wann es so weit war, konnte sie nicht immer voraussehen, obwohl sie mittlerweile mehr als genug Zeit gehabt hatte, um sein Verhalten zu beobachten, zu analysieren.

Sie hörte, wie er durch die Wohnung stapfte und wusste - es wurde Zeit. »Ich ... bin im Bad. Auf ... der Toilette. Entschuldige Schatz«, presste sie mit glockenheller Stimme hervor. Niemand hätte ihr anhören können, dass Angst gerade ihren Unterleib verkrampfte.

Ein Schnauben ertönte - viel näher, als sie es erwartet hatte.

»Warum sagst du das nicht gleich, verdammt?«

Offensichtlich hatte Simon längst das Bad erreicht. Plötzlich trennte sie nur noch eine dünne Holztür - und Laura hatte längst aufgegeben, sich an solche Unsicherheiten zu klammern. Haltsuchend umfasste sie das Waschbecken, krampfte ihre bleichen Finger um das Porzellan. »Ich habe dich wohl nicht gleich gehört«, erwiderte sie in dieser falsch-fröhlichen Stimme. »Ich bin gleich bei dir, ja?«

Und als sich die Schritte ihres Mannes entfernten, blickte Laura mit weit aufgerissenen Augen erneut in den Spiegel. Hatte sie ihn beruhigt? Hatte er sich beruhigt?

Nun fürchtete sie den Moment, da sie ihren kleinen Käfig verlassen musste, umso mehr.

Was würde sie dann erwarten?

 

 

Kapitel 1

                            

 

Für die meisten führten die Kesslers ein wirklich schönes Leben. Simon arbeitete für eine große Firma, die Computer herstellte. Innerhalb der Woche war er viel unterwegs, er betreute Kunden über die Landesgrenzen hinaus und verbrachte oftmals viele Kilometer im Auto. Es war die Regel, dass er auswärts übernachtete und nur an den Wochenenden wirklich daheim war. Dafür verdiente er gutes Geld. Geld, das ihnen ermöglicht hatte, schon kurz nach ihrem Kennenlernen eine tolle Hochzeit zu feiern und im Jahr darauf eine umwerfende Eigentumswohnung mitten in der Stadt zu kaufen. Für ein Haus war es ihnen noch zu früh erschienen, das sollte erst später kommen, wenn die Familienplanung einen Schritt weiter war.

Manchmal, da wurde Laura gefragt, wie sie mit dem Leben ihres Mannes zurechtkam, mit seiner Arbeit. Für viele schien es eine grausame Vorstellung zu sein, dass sie innerhalb der Woche so oft alleine einschlafen musste, ohne Simon an ihrer Seite, ohne nächtliche Kuscheleinheiten. Für solche Augenblicke hatte die junge Frau sich eine wohlstudierte Antwort zurechtgelegt. »Wir sind beide unabhängige Menschen. Simon liebt seinen Job, ich liebe Simon. Wir sehen uns an den Wochenenden und auch manchmal innerhalb der Woche. Solange es ihn glücklich macht, macht mich das auch glücklich. Und ich habe ja auch einen Beruf, dem ich nachgehen kann.« Dabei gab sie das perfekte Bild einer verständnisvollen, modernen Frau ab, die sich mit der beruflichen Situation ihres Mannes gut zurechtgefunden hatte. Die Wahrheit, die hätte sie schließlich niemals sagen können.

»Ich bin froh, so oft alleine zu sein, denn dann muss ich nicht ständig aufpassen, was ich sage.«

»Ich brauche diese Zeit alleine, um nicht durchzudrehen.«

»Wenn er nicht da ist, können wir nicht streiten.«

»Natürlich ist es schön, wenn er da ist. Aber genauso oft geht es auch schief und dann wünschte ich mir, er wäre arbeiten ...«

Und dergleichen mehr.

Nein, die Wahrheit blieb unter Verschluss. Und zwar so gut, so sorgfältig, dass wirklich niemand etwas davon erfuhr. Niemand, nicht einmal Lauras Mutter, die den kläglichen Überrest ihrer Familie darstellte. Ganz zu Beginn, da hatte die taffe Frau ein paar kritische Fragen gestellt. Als es ihr zu schnell vorgekommen war, dass Simon und Laura heirateten, als sie ein paar zu dunkle Schatten unter den Augen ihrer Tochter wahrgenommen hatte.

Seitdem sahen sie sich nicht mehr allzu oft, denn Simon mochte sie nicht sonderlich. Und Laura wollte keinen erneuten Streit.

Die beiden waren Teil eines größeren Freundeskreises, der vor allem von ihrem Mann zusammengeführt worden war. Es kam nicht selten vor, dass sie etwas unternahmen, Teile von ihnen, denn alle trafen sie eigentlich nur bei Geburtstagen aufeinander. Damals waren die meisten von Laura begeistert gewesen, direkt auf den ersten Blick, davon, wie gut sie an Simons Seite passte, und das hatte ihr geschmeichelt. Heute war sie fest integriert, wenn auch nicht fest genug, um das Gefühl zu haben, dass sie offen und ehrlich sein konnte. Laura war sich sicher, würde sie tatsächlich den Mund aufmachen, dann würden die meisten ihr nicht glauben.

Wie, Simon? Er schlägt dich? So ein Quatsch!

Diese Reaktion war so naheliegend, dass Laura sie förmlich in ihrem Ohr klingen hörte, sobald auch nur der kleinste Impuls entstand, sich jemandem zu öffnen.

Nein, das stand nicht zur Debatte. Auf gar keinen Fall. Laura musste dieses Geheimnis für sich behalten. Sie fürchtete die Konsequenzen zu sehr, denn nach drei Jahren Ehe hatte sie schon so viel erlebt, dass sie sich einer Tatsache bewusst war: Simon konnte man alles Mögliche zutrauen. Genaugenommen gab es nicht viel, was man ihm nicht zutrauen konnte. Und Laura hatte unglaubliche Angst davor, herauszufinden, wie weit er gehen würde, wenn sie ihn dermaßen ans Messer lieferte.

Die Vorstellung war grotesk.

Tatsächlich war nicht immer alles schlecht. Im Grunde gab es sogar viel mehr Zeiten, in denen es ziemlich gut lief, wo Simon genau der Mann war, in den sich Laura einst verliebt hatte. Charismatisch und gut aussehend, so hatte er sie um den Finger gewickelt - und das in dem Supermarkt, in dem sie aushilfsweise an der Kasse gearbeitet hatte, als sie nach der Ausbildung zur Erzieherin nicht direkt einen Job in ihrem Beruf fand. Manchmal dachte sie an jenen Tag zurück, an diese Begegnung, die ihnen wie vom Schicksal geordert vorgekommen war. Damals hatte Laura sich sofort in die stahlgrauen Augen verliebt, mit denen Simon sie aufmerksam gemustert hatte. Ja, damals, da hatte sie sich vor allem von seinem markanten Äußeren beeinflussen lassen, von seinen breiten Schultern, von seinem muskulösen Oberkörper, den man durch das weiße Hemd hatte erahnen können. Sie hatte sich wahrlich zum Affen gemacht, als sie ihn mit offenem Mund angestarrt und vergessen hatte, die Ware über den Scanner zu ziehen. Damals hatte sie gedacht, dass sie niemals einen schöneren Mann gesehen hatte. Und die Grübchen, die sich in seinen Augenwinkeln gebildet hatten, als er ihr nachsichtig zulächelte, waren gütig und warm gewesen.

Noch immer formte sich ein kribbelndes Gefühl in ihrem Magen, wenn Simon sie so anschaute. Nichts hatte sich an seinem Aussehen geändert, nach wie vor war er ein bildschöner Mann, attraktiv und ansehnlich. Es war sein Charakter, der manchmal schwarz klaffende Löcher offenbarte; Löcher, die Laura lange verborgen geblieben waren. Und auch wenn sie sich oftmals dafür hasste - wenn er sie so anlächelte, wenn er sie in den Arm nahm und sie wie auf Händen trug, dann vergaß sie allzu gern die Schattenseiten ihrer Beziehung, redete sich ein, dass er eigentlich gar nicht so war. Es gab immer Entschuldigungen für sein Verhalten, arbeitsbedingter Stress vorweg, und Laura war wohl die Erste, die bereitwillig nach diesen erklärenden Strohhalmen griff. Und hieß es beim Eheversprechen nicht auch »in guten wie in schlechten Zeiten«?

Vielleicht, dachte sie manchmal, war es auch gut so, dass niemand die ganze Wahrheit kannte. Denn letzten Endes war sie diejenige, die immer wieder erneut zurückkehrte, die an seiner Seite blieb. Und würde dann nicht auch sie diejenige sein, die man mit Verachtung strafte?

Sofern man ihr denn glaubte.

Denn, wie bereits erwähnt: Für Außenstehende wirkten sie wie ein glückliches, zufriedenes Paar.

 

* * *

 

»Hast du alles?«

Simons Stimme ertönte in Lauras Rücken und sie hielt in ihrer Bewegung inne. Fast schon automatisch öffnete sie ihre kleine Tasche und durchwühlte den Inhalt. Handy, check. Portmonee, da. Handcreme, Pflaster, Haargummis und die kleine Taschenbürste: ebenfalls vorhanden. Sie nickte. »Ja, ich denke schon.«

»Gut.«

Simon trat hinter sie. Fast schon federleicht legten sich seine Hände um ihren Nacken. Erst zuckte sie zusammen - Was tat er da? -, doch als er begann, die verhärteten Muskelstränge zu massieren, seufzte sie leise auf. Allzu oft setzte sich der Stress spürbar in ihrem Körper fest. Simon wusste genau, wie er sich dem annehmen konnte.

»Wir bleiben nicht allzu lange, oder?«, fragte sie vorsichtig. Ihr Blick wanderte zu dem großen Spiegel am Kleiderschrank, wo sie seinen Augen begegnete.

»Nein, wir schauen einfach vorbei. Hauptsache einmal blicken lassen. Und danach ... machen wir es uns hier gemütlich.«

Erleichtert schluckte Laura den kleinen Kloß in ihrem Hals herunter.

Sie waren eingeladen - zu einer schicken Dinnerparty. Lauras Blick glitt über ihr Outfit - ein dunkelrotes Cocktailkleid, enganliegendes Oberteil, herzförmiger Ausschnitt. Der Rock umschmeichelte ihre Knie und verhüllte genug Fleisch, um nicht anrüchig zu wirken. Ihre blonden Haare hatte sie zu einer losen Hochsteckfrisur zusammengebunden, einige Strähnchen hingen herunter und kitzelten die empfindliche Haut in ihrem Nacken. Mit dem Make-Up war sie sparsam umgegangen. Ein bisschen Wimperntusche, etwas Lidschatten, Rouge. Dazu eine feingliedrige silberne Kette - und ihr Outfit war perfekt. Sie sah wirklich gut aus, das wusste sie, und dennoch fühlte Laura sich nicht sonderlich wohl. Auch nach drei Jahren war diese Art von Veranstaltung nicht ihre Welt, vermutlich würde sie sich nie daran gewöhnen.

Erneut begegneten sich ihre Blicke. Laura suchte nach Anzeichen von Ironie - irgendetwas, was ihr bedeuten würde, dass Simon sehr wohl den ganzen Abend dort verbringen wollte, doch da war nichts. Ein offener und ehrlicher Blick.

»Okay.« Ein leichtes Lächeln umschmeichelte ihre Lippen, als Laura entschlossen die schmalen Lederhenkel über ihre Schulter schob. »Ich wäre dann soweit, Monsieur, und Sie?«

Simon musste lachen. Galant umfasste er den Ellenbogen seiner Frau, warf einen letzten Blick in den Spiegel, um den Sitz seines Jacketts zu überprüfen, und führte sie dann aus dem Schlafzimmer hinaus in den Abend.

 

* * *

 

»Da seid ihr ja!« Mit lauter und hoher Stimme begrüßte die Gastgeberin das junge Ehepaar, als sie die Tür aufriss. Karin war eine Arbeitskollegin von Simon, wenn auch nicht wie er im Außendienst tätig, und lebte mit Mann und zwei Kindern in einem großzügigen Einfamilienhaus am Rande der Stadt. Die Kinder waren - wie eigentlich immer an solchen Abenden - bei ihren Großeltern untergebracht, sodass genug Zeit und Raum für lauter Erwachsenendinge waren. Manches Mal schon hatte Laura sich gewünscht, dass die Kleinen auch da wären, zu gerne spielte sie mit ihnen und suchte so einen Ausweg von besagten Erwachsenendingen, die sie so schnell ermüdeten. Als Erzieherin fand sie nichts schöner, als sich mit kleinen Menschen zu beschäftigen. So etwas wie Feierabend oder Berufsmüdigkeit kannte sie nicht, ganz im Gegenteil. Waren Kinder anwesend, ging es ihr gut - zumindest, wenn es nicht ihre eigenen waren. Eigene Kinder hatten noch Zeit, da war sie sich sicher, doch das änderte ja nichts daran, dass sie sich gerne mit diesen kleinen Lebewesen umgab. Kinder halfen ihr, sich zu entspannen, sich wohlzufühlen.

Doch an Abenden wie diesen gab es keine Wahl. Keine Kinder, nur andere Erwachsene. Da musste sie durch.

Also lächelte sie Karin breit an. »Aber natürlich, was denkst du denn?« Sie spürte einen leichten Druck in ihrem unteren Rücken, Simon schob sie durch die Tür und hinein ins Haus, das beseelt war vom Geplauder vieler Erwachsener.

»Danke für die Einladung«, erklärte er mit charmanter Stimme und überreichte der Gastgeberin die Flasche Wein, die sie vorm Verlassen des Hauses noch schnell gegriffen hatten.

»Kommt rein, kommt rein. Die anderen sind bereits alle da, wir wollen bald mit der Vorspeise beginnen!«

Karin war eine imposante Gestalt. Großgewachsen, bildhübsch. Manchmal überlegte Laura, ob sie nicht vielleicht hätte Model werden sollen, können. Sicher hätte sie eine ordentliche Karriere geschafft, die richtigen Attribute brachte sie mit. Vermutlich hätte sie für die ganz großen Designer laufen können - doch das tat sie nicht. Nein, sie arbeitete in einer großen Firma, brachte gut Geld nach Hause, ihr Mann verdiente noch mehr, und gemeinsam mit ihrem Nachwuchs führten sie ein Leben, das andere fast schon als spießig bezeichnen würden. Laura musste bei diesem Gedanken ein Lächeln verkneifen, denn es gab Zeiten, da hätte sie zu diesen Kritikern gehört. Und jetzt war sie selber auf dem besten Wege, ein solches Leben aufzubauen.

Wenigstens war sie Erzieherin und hatte so einen Teil des Tages eine gute Ausrede dafür, mit Fingerfarben, Knete und Matsch herumzuhantieren.

Mit aller Macht zwängte Laura ihre Belustigung in ein freundliches Lächeln und deutete auf Karins pechschwarzen Schopf, der aktuell in einen glatten Bob gelegt war. »Du warst beim Friseur. Steht dir gut!«

Ihre Lippen kräuselten sich geschmeichelt, sie stupste die glatte Kante auf der rechten Seite an. »Danke, ist schon eine Woche her.« Dann drehte sie sich schwungvoll um. »Folgt mir.«

Laura und Simon warfen sich einen Blick zu, der immerhin das Gleiche auszusagen schien: »Das kann ja ein Abend werden ...«

Dicht hinter Karin betraten sie den Wohnraum, der sich über elegante vierzig Quadratmeter erstreckte. Das absolute Highlight stellte ein offener Kamin dar, der jedoch in den seltensten Fällen wirklich befeuert wurde. Auch heute stand lediglich ein geflochtener Korb gefüllt mit Holzscheiten in der Vertiefung - ein dauerhaftes Lockangebot, das jedoch meistens von der Familie Diederich überhört wurde. Ein offenes Feuer - das bedeutete Schmutz und Arbeit. Und natürlich war es auch gefährlich, wenn kleine Kinder durch den Raum stolperten.

Etwa fünfzehn Leute befanden sich bereits im Raum, die meisten standen am Kamin, Gläser in der Hand, miteinander redend. Schick gekleidet, allesamt, eine Mischung aus dunklen Anzughosen und Cocktailkleidern in cremefarben und rot, viele Gesichter, die Laura unbekannt waren. Nicht gerade die Art von Gesellschaft, die einen entspannten Abend versprach. Als die drei zu ihnen stießen, flogen einige Köpfe in die Höhe und ein Begrüßungsgemurmel entstand, das für Lauras Geschmack viel zu spießig war. Erst auf den zweiten Blick sah sie, dass immerhin ein Teil der Clique anwesend war. Der Großteil dieser Abendparty bestand aus Arbeitskollegen von Karin und somit auch Simon, sodass die beiden sicherlich gut unterhalten und in bester Gesellschaft waren - Laura bevorzugte es einfacher. Seufzend zupfte sie an ihrem Kleid und trat zu den wenigen Gesichtern, die ihr bekannt waren. Die Zeiten, in denen ihr Mann sie stolz seinen Kollegen vorstellte, waren vorbei. Nicht, weil er sich für sie schämte, sondern weil es bereits oft genug passiert war. Die mussten sich ja nur ihren Namen merken - Laura hatte jedoch nicht den Kopf, sich all die Gesichter einzuprägen. Dafür sahen sie sich viel zu selten.

Sobald sie zu ihren Freunden trat, wurde ihr Herz etwas leichter.

»Oh, Laura, wie schön, dass ihr auch da seid!« Claudia war die Erste, die sie in den Arm nahm. »Immerhin ein paar gescheite Leute hier!«

Lächelnd erwiderte Laura den Drücker, ehe sie sich Sebastian, Marina und Susanne zuwandte, die ebenfalls bei Claudia standen und so aussahen, als würden sie sich nicht ganz wohl fühlen.

Kurz trat Simon zu ihnen und warf einen Gruß in die Runde. Er drückte Laura ein Glas mit einer sprudelnden Flüssigkeit in die Hand und verschwand im nächsten Moment schon wieder. Seufzend lenkte sie einen Toast in die Gruppe und nippte dann an ihrem Getränk. Schampus, was hätte es auch anderes sein sollen.

»Wie lange seid ihr schon hier?«, richtete sie ihre Worte an Claudia und nickte schnell Richtung Karin. »Sie ist ja schwer beschäftigt. Wo ist Lukas?«

Sebastian räusperte sich. »Der steht in der Küche. Du weißt doch, arbeitstechnisch ist er der Hengst, aber wenn es um solche Partys geht, überlässt er seiner Frau das Zepter und kümmert sich um die Hiwi-Arbeiten. Er dürfte gleich zu Tisch bitten.«

Laura warf ihm einen amüsierten Blick zu. Sebastian war ein Schulfreund von Simon und daher Teil der Clique, seit sie überhaupt entstanden war. Dennoch unterschied er sich in vielerlei Hinsicht von seinem Kumpel und auch von Karin und Lukas. Er war bodenständiger und irgendwie nicht gemacht für solche Anzuggeschichten. Dass er sich an diesem Abend im schlecht sitzenden Jackett und mit dunkler Jeans unter die Meute mischte, zeugte einzig und alleine von seiner treuen Freundschaft.

Und dass er seiner Freundin Marina kaum einen Wunsch abschlagen konnte. Die liebte nämlich Prickelwasser und gutes Essen.

Marina und Sebastian waren schon über zehn Jahre zusammen und somit gehörte sie ebenfalls zum festen Repertoire der Clique. Immer und immer wieder wurde über die beiden gescherzt - der mögliche Zeitpunkt eines überfälligen Antrages wurde gerne und ausgiebig diskutiert. Es war ein Running Gag, in den unmöglichsten Situationen damit zu rechnen und in schillernden Farben zu beschreiben, wie es geschehen könnte.

Sebastian nahm es gelassen. Einzig die kleinen Fältchen in Marinas Augenwinkeln, die in solchen Situationen enger wurden, zeugten von ihrem insgeheimen Wunsch, endlich diese eine Frage zu hören.

Lächelnd warf Laura Susanne einen Blick zu. Sie war ohne Partner hier, was jedoch niemanden verwunderte. Sie war die meiste Zeit alleine und schien auch kein Problem damit zu haben. »Gibt es etwas Leckeres?«

Gerade wollte die angesprochene Frau antworten, als plötzlich ein Mann in die Runde platzte, den Laura noch nie zuvor gesehen hatte.

»Da bin ich wieder. In diesen riesigen Fluren verirrt man sich ja, wenn man das Klo sucht!«

Gelächter brach aus, eine Mischung aus Erheiterung und Verdutzen. Laura schien die Einzige zu sein, die sich nicht anschließen konnte, dazu war sie viel zu verwirrt, als sie den Unbekannten anstarrte, der sich wie selbstverständlich neben Claudia schob. Waren die zwei etwa ...?

»Laura, darf ich dir Ben vorstellen? Du warst noch nicht da, als die anderen ihn bereits kennengelernt haben«, platzte genau diese in dem Moment los, noch immer unter Einfluss des abklingenden Gelächters. Sie holte schnaufend Luft, um wieder zu Verstand zu gelangen.

»Hallo, Ben«, begrüßte Laura den Mann mit dem losen Mundwerk, reichte ihm zurückhaltend die Hand. »Du bist ...?«

»Ich bin Claudias Bruder. Ich wohne eine Weile bei ihr, und da dachte sie, dass es genau die richtige Gelegenheit wäre, an diesem Abend einige Leute kennenzulernen. Wie ich mich freue.«

Sein Händedruck war überraschend fest, das Funkeln in seinen Augen warm. Laura brauchte einen Moment, um diese Information zu verarbeiten. Dass Claudia einen Bruder hatte, war ihr neu, doch andererseits gab es vermutlich vieles, was sie noch nicht über die junge Frau wusste. Dass sie Ben für einen möglichen Liebhaber gehalten hatte, war ihr nun peinlich, und sie beschloss, diesen Gedanken für sich zu behalten. Selbst zur Belustigung wollte sie ihn nicht ausspielen.

»Es ist doch immer schön, Menschen in unterschiedlichsten Situationen kennenzulernen«, brachte sie lakonisch hervor und deutete mit ihrem Kinn Richtung Gesellschaft am Kamin. »Vielleicht finden sich ja unbekannte Herausforderungen?«

Ben lachte leise auf, sein Blick wurde eindringlicher. »Ich gebe mich erst einmal mit dem elitären Kreis hier zufrieden, danke.«

Ehe Laura über seine Antwort nachdenken und sich einen eigenen Konter zurechtlegen konnte, trat plötzlich Lukas aus der angrenzenden Küche. »Ihr könnt Platz nehmen, die Vorspeise ist fertig!«

Claudia seufzte auf. »Dann wollen wir mal. Wenigstens wissen wir, dass Lukas kochen kann.«

Schreiben - das ist mein Traum, mein Lebensinhalt. Seit 2013 veröffentliche ich meine Geschichten. Weil es Spaß macht und weil ich euch schöne Stunden bescheren möchte!

Mein Leitspruch:


"Wenn du es träumen kannst, kannst du es auch tun."
(Walt Disney)

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