Wie es ist, nie mehr das Gesicht eines geliebten Menschen oder die satten Farben einer grünen Wiese sehen zu können? Ganz ehrlich, ich weiß es nicht.
Doch ich werde es bald wissen, denn ich erblinde.
Der Prozess schreitet langsam und allmählich fort und doch viel zu schnell - es wird immer viel zu schnell sein …
Mein erster Gedanke gilt meiner Tochter. Was wird werden, wenn ich ihr keine Stütze mehr sein kann, sondern zu ihrem Klotz am Bein werde?
Nie hätte ich gedacht, mit Ende Dreißig einen Punkt zu erreichen, an dem ich noch einmal von vorne beginnen muss. Ich werde lernen, meine Sinne zu trainieren, um meinen Alltag zu meistern, genau wie ich den Gedanken zulassen muss, nie mehr selbst Auto fahren zu können und auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Ich werde kein Buch mehr lesen, kein Kino oder Theater mehr besuchen und meinen Beruf nicht mehr ausüben können. Nie mehr einen Sonnenuntergang bewundern, die Farbenpracht einer Blumenwiese oder das Türkis des Meeres sehen.
Aber vor allen Dingen werde ich nie mehr in den Gesichtern anderer Menschen lesen und so ihre kleinsten Gefühlsregungen wahrnehmen können. All diese Dinge, die bisher so selbstverständlich für mich waren - diese tausend Kleinigkeiten - werden mir nicht mehr möglich sein.
Der Gedanke, hilflos zu sein, ist furchteinflößend.
Leben ist mehr als sehen! Diesen Satz habe ich einmal gelesen und nicht darüber nachgedacht. Heute denke ich sehr viel darüber nach. Wie ich darüber denke? Fragt mich noch einmal, wenn es dunkel ist …
Kapitel 1
Elisabeth
Ich schreckte hoch und hielt stöhnend inne, weil sich mein Nacken mit einem ziehenden Schmerz bis hinunter zur Schulter zu
Wort meldete. Mist, falsch gelegen,
schoss mir durch den Kopf, bis ich bemerkte, wie unangenehm feucht sich mein Haaransatz und das T-Shirt anfühlten. Kein Wunder, denn ich hatte von Paula geträumt. In meinem Traum war meine gerade mal
achtzehnjährige Tochter hochschwanger gewesen und hatte mir tränenüberströmt gebeichtet, keinen Vater für ihr Kind zu haben.
Umso erleichterter war ich darüber, aufgewacht zu sein und nur geträumt zu haben. Langsam drehte ich mich zur Seite und versuchte, einen Blick auf den Wecker zu erhaschen, doch irgendwie wollten meine Augen schon wieder nicht so wie ich. Trotz mehrfachem Blinzeln waren lediglich schemenhafte Umrisse zu erkennen. Zumindest dämmert es schon, schoss mir durch den Kopf, doch der Wecker hatte noch nicht geklingelt, also kniff ich die Augen wieder zusammen und ließ mich zurück aufs Kissen fallen.
Du bist einfach noch zu müde. Ich gähnte herzhaft und hätte um ein Haar laut über mich selbst gelacht. Wie konnte Frau nur so dankbar darüber sein, lediglich geträumt zu haben? Ich machte mir einfach viel zu viele Sorgen.
Alles war gut. Meine Tochter lag im Zimmer neben mir und schlief. Ich war kurz aufgewacht, als sie gegen halb drei Uhr morgens nach Hause gekommen war. Paula hatte sich mit ihren Freunden getroffen, um die Abi-Abschlussfeier zu planen. Und obwohl ich das wusste, konnte ich nicht anders, als darüber zu grübeln, mit wem sie die Zeit verbracht hatte. Vielleicht erging es ja all den anderen Müttern genauso. Irgendwie machte ich mir immer Gedanken und das nicht zu knapp. Die Vorstellung, Paula könnte plötzlich tatsächlich völlig aufgelöst vor mir stehen und erzählen, sie sei schwanger, war allgegenwärtig. Ja, natürlich traute ich ihr zu, sich um Verhütung zu kümmern, doch immer wieder kam mir in den Sinn, wie es mir damals ergangen war. Auch Tom und ich hatten verhütet - immer -, bis auf dieses eine Mal. Sechs Wochen später hatte ich die Gewissheit, sehr jung Mutter zu werden und genau das wollte ich für meine Tochter nicht. Sie sollte sich Zeit lassen mit dem Kinderkriegen, sollte ihr Studium beenden und einen guten Job ergattern. Dann konnte sie sich immer noch bewusst dafür entscheiden, Mutter zu werden. Es sollte ihr erspart bleiben, von einem Mann, der sie vermeintlich liebte, sitzengelassen zu werden. Sie sollte sich nicht von ihrem Traum verabschieden müssen, wie auch immer der aussah. Dies alles wollte ich meiner Paula ersparen und nur deshalb machte es mir eine Heidenangst, sie mit ihrem Freund zusammen zu sehen.
Kein Wunder, dass Max auf Paula stand, schließlich war aus meinem kleinen, süßen Mädchen eine wunderschöne, junge Frau geworden, was natürlich auch der Männerwelt nicht verborgen blieb.
Max Derscheid. Allein beim Klang seines Namens entstanden sofort nicht gerade jugendfreie Bilder in meinem Kopf, die die beiden engumschlungen, wild knutschend und völlig entrückt zeigten. Und selbstverständlich waren sie in meiner Vorstellung auch nicht mehr in der Lage zu verhüten. Mist. Ich wollte mich von diesen Ängsten nicht überwältigen lassen, doch es passierte einfach und dass, obwohl ich meine Tochter zu einer selbstständig denkenden, jungen Frau erzogen, die ihr Leben selbstbestimmt lebte.
Was, wenn dieser zugegebenermaßen gutaussehende, junge Mann sie genug begeisterte, um sich fest an ihn zu binden? Denn so wie ich diesen Max einschätzte, war er noch äußerst unreif und verplant - obwohl, eigentlich kannte ich ihn doch gar nicht wirklich.
»Hör auf damit«, sagte ich zu mir selbst und setzte mich auf. Zeit aufzustehen und diese zweiflerischen, wirren Gedanken beiseite zu schieben. Es war Wochenende und deshalb blieb Paula und mir genügend Zeit, um ein gemütliches Mutter-Tochter-Frühstück zu zelebrieren, bevor wir beide unsere samstäglichen Aktivitäten aufnahmen. Ich musste einkaufen gehen und hatte jede Menge Wäsche zu waschen, während Paula den Gehsteig fegen wollte, damit die Nachbarn keinen Grund zur Beanstandung hatten.
Genervt blinzelte ich in Richtung Fenster. Dieser Schleier über meinen Augen wollte sich heute gar nicht verziehen. Dieses Phänomen hatte ich in letzter Zeit schon öfter beobachtet, genau wie die Tatsache, wie schnell meine Augen in letzter Zeit ermüdeten. Zum Glück hatte ich für nächste Woche sowieso einen Augenarzttermin. Vielleicht hatte sich meine Sehkraft schon wieder verschlechtert, was kein Wunder wäre, so viel Zeit, wie ich am PC verbrachte. Mein Arbeitsplatz als Schadenssachbearbeiterin bei einer großen Versicherung bestand quasi fast nur aus Bildschirmarbeit. Und auch wenn dieser Job mir inzwischen immer weniger Spaß bereitete, so deckte er doch jeden Monat unseren Tisch und bezahlte uns das Dach über dem Kopf, schließlich verdiente ich dort überdurchschnittlich gut.
Verflixt. Es war bereits nach zehn Uhr, was mir ein erneuter Blick auf den Wecker verriet. So lange hatte ich eigentlich gar nicht schlafen wollen. Mit schmerzender Schulter schlurfte ich zum Fenster, zog den Rollladen hoch und wurde sofort mit gleißender Helligkeit bestraft, die schmerzhaft in meine Augen stach.
»Willkommen Sonne, ich liebe dich auch«, murmelte ich verdrossen und wandte mich ab. Eine heiße Dusche würde mich jetzt auf jeden Fall auf Touren bringen, also ab ins Badezimmer. Der kurze Seitenblick in meinen bodenhohen Spiegel erwies sich als fataler Fehler. Wer hätte gedacht, wie alt man im hellen Licht aussehen konnte. Verschwitzt und zerknittert, mit gerunzelter Stirn und zusammengekniffenen Augen starrte mich mein Spiegelbild an.
In Gedanken ging ich schon die Dinge durch, die ich einkaufen musste und nahm mir vor, sie gleich zu notieren, um nicht wieder etwas zu vergessen.
Ich zog die Tür auf und erschrak, weil ich um ein Haar mit meiner Tochter zusammengestoßen wäre.
Im Gegensatz zu mir wirkte sie wesentlich frischer, obwohl sie die Nacht zum Tag gemacht hatte. Beneidenswerte Jugend, dachte ich und seufzte erneut. Manchmal wäre es schon schön, noch einmal so jung zu sein.
»Morgen, Mom. Auch schon auf?«, flötete Paula fröhlich, allerdings ohne mich dabei anzusehen. Stattdessen starrte sie konzentriert auf das Handy in ihrer Hand.
Wenigstens besitzt sie noch die Freundlichkeit, guten Morgen zu sagen. Das tun sicher nicht mehr alle Kinder, dachte ich bei mir und bog im Gang in die entgegengesetzte Richtung ab. »Morgen«, brummte ich und griff im Vorbeigehen nach meiner Brille, die auf dem kleinen Flurtischchen lag. »Gib mir zehn Minuten. Du kannst ja schon mal Kaffee kochen und Tee für alle Nicht-Koffein-Junkies aufsetzen.« Dann floh ich vor einer weiteren morgendlichen Gute-Laune-Attacke ins Badezimmer.
Mist. Ich wollte nicht derart schlechtgelaunt sein. Aber irgendwie fühlte ich mich nicht besonders gut - nicht richtig fit, mit schmerzender Schulter und dem Wissen, dringend zum Augenarzt zu müssen. Dann war da noch diese ständige Sorge um das Wohl meiner Tochter, die darauf mit absolutem Unverständnis reagieren würde, falls ich auch nur ansatzweise davon anfinge. Natürlich war mir klar, wie dumm es war, doch was sollte ich dagegen tun?
Gott, wieso hatte mich niemand darauf vorbereitet, wie schwer es war, loszulassen? Kein Mensch hatte mir erzählt, wie viele Sorgen man sich als Mutter macht. Sorgen, die niemals aufhören, weil man sein Kind liebt. Es war nun mal so - solange es dem Kind gutging, ging es auch einem selbst gut und ich war sicher, so erging es den meisten Eltern.
Hör. Sofort. Damit. Auf. Frustriert über mich selbst riss ich mir das verschwitzte Shirt und den Slip von Leib und beförderte beides in hohem Bogen auf den Wäscheberg, der sich neben dem überquellenden Wäschekorb auftürmte. Das würde ein langer Samstag werden …
Fünfzehn Minuten später fühlte ich mich wesentlich besser. Zum Glück. Schließlich wollte ich keinesfalls, nur wegen meiner übersensiblen Anwandlungen einen Streit mit Paula riskieren, der meine seltsame Verfassung nur verschlimmern würde. In letzter Zeit war es sowieso schon schwieriger zwischen uns geworden. An manchen Tagen fand ich einfach keine gesunde Balance zwischen mütterlicher Fürsorge und dem dringenden Bedürfnis, sie unbedingt beschützen zu wollen und so krachte es schon das eine oder andere Mal. Also hatte ich mir vorgenommen, unbedingt daran zu arbeiten, auch wenn es nicht einfach werden würde.
Die Dusche hatte gutgetan und das heiße Wasser meinen Schmerz im Nacken so gut wie vertrieben. Außerdem war mir die Idee gekommen, heute Abend ins Kino zu gehen und eventuell hatte Paula ja sogar Lust, mitzukommen. Gutgelaunt ging ich ins Schlafzimmer und schlüpfte in frische Kleidung. Verlockender Kaffeeduft lag in der Luft und meine Laune hob sich noch mehr. Plötzlich fühlte ich mich richtig gut - vergessen waren all die miesepetrigen Gedanken, die mich gerade noch beherrscht hatten.
»Guten Morgen, mein Schatz. Jetzt bin ich völlig wach. Hast du auch Lust auf Müsli? Oder magst du lieber Toast? Und vielleicht ein Ei?« Gutgelaunt plapperte ich, was das Zeug hielt, was mir den ungläubigen Blick meiner Tochter einbrachte.
»Ähm, Moment. Wer bist du und was hast du mit meiner Mom gemacht?«
»Meinst du die Frau, die vorhin im Bad verschwunden ist? Die habe ich gegen ein neues Modell ausgetauscht. Ich hoffe, das war dir recht«, gab ich munter zurück. Im Handumdrehen hatte ich alle notwendigen Frühstücksutensilien auf den Tisch gestellt und das Wasser für die Eier aufgesetzt. »Du, sag mal. Hättest du vielleicht Lust, heute Abend mit mir ins Kino zu gehen? Ich kann später gleich mal nachschauen, was läuft, aber ich bin sicher, wir finden einen Film, der uns beiden gefällt.«
»Mhm. Weiß nicht. Eigentlich wollte ich mich mit Max treffen. Seine Eltern leben doch in Scheidung und ich glaube, er hat Redebedarf.«
Ich wusste es! Kaum hatte Paula den Namen Max erwähnt, war meine gute Laune wie weggewischt, vergessen die Absicht, zu versuchen, loszulassen. Auch alle guten Vorsätze, sie nicht mit meinen eigenen Ängsten zu konfrontieren, waren vergessen. »Natürlich, war ja klar.« Enttäuscht steckte ich den Kopf in den Vorratsschrank, um das Müsli hervorzukramen. Gleichzeitig verschaffte mir dies ein wenig Zeit, um nicht gleich mit der Kirche ins Dorf zu fallen.
»Wie meinst du das?«
Ich wandte mich langsam um und sah Paula an, die gespannt auf meine Antwort wartete.
»Ich dachte mir schon, dass du keine Zeit hast«, antwortete ich ausweichend, doch Paula wäre nicht Paula, wenn sie dieses Manöver nicht prompt durchschaut hätte.
»Mom. Sei ehrlich. Was hast du wirklich gemeint?«
»Du kennst meine Meinung zu dem Thema Jungs, mein Schatz. Ich finde es zu früh und nicht richtig, sich derart fest auf jemanden einzulassen, zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt. Ihr habt beide noch nicht einmal die Schule ganz abgeschlossen.«
Paula schnaubte wenig damenhaft. »Aber dir ist schon klar, dass es keine drei Monate mehr bis zur Abschlussfeier sind? Wir haben bereits die Bewerbungen für die Unis geschrieben. Es findet quasi schon jetzt kein Unterricht mehr statt.«
Paulas Einwand stimmte, doch das wollte ich natürlich nicht zugeben. »Ja, natürlich weiß ich das. Was ich jedoch nicht weiß - was will Max eigentlich nach der Schule machen? Habt ihr darüber schon gesprochen?« Meine Taktik war ebenso klar wie unfair. Ich versuchte, das Augenmerk meiner Tochter auf die Unzulänglichkeit ihres Freundes zu lenken, doch dummerweise ging der Schuss nach hinten los, wie ich schon wenige Sekunden später ernüchtert feststellen musste.
»Ja, haben wir. Max hat sich hier an der Uni beworben.«
Mist. Der Versuch war fehlgeschlagen. Max’ Vorhaben klang nach einem guten, soliden Plan. Aber ich gab nicht auf. »Hat er denn schon einen Arbeitgeber gefunden?«, setzte ich nach und schämte mich ein wenig, weil ich hoffte, sie würde darauf mit einem klaren NEIN antworten müssen.
»Stell dir vor - ja, das hat er. Aber das ist hier nicht das Thema, oder? Es geht wie immer darum, dass Männer nur das Eine wollen, nicht wahr? Und natürlich sind sie alle gleich. Max wird mich auch schwängern und sitzenlassen, so wie Tom damals dich. Das ist es doch, wovor du dich fürchtest.« Beleidigt erhob sie sich. Ihre gute Laune war wie weggefegt. »Ach Mama. Wieso musst du immer wieder deine schlechten Erfahrungen mit ihm auf mich und meinen Freund projizieren? Max ist nicht wie er. Kein bisschen.«
Ich atmete tief durch. Schon spürte ich, wie mein Nacken sich wieder verkrampfte, so wie es mein Herz gerade tat. Wieso nur? Wieso nur konnte ich es nicht einfach lassen? Paula hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Natürlich dachte ich daran, wie falsch es damals bei mir gelaufen war. Ich hatte nicht die Möglichkeit, alle meine Träume zu verwirklichen. Ich hatte große Pläne, wollte die Welt sehen. Doch dann kam alles ganz anders.
»Du hast recht, mein Schatz. Vergiss, was ich gesagt habe und setz‘ dich wieder. Lass uns wenigstens gemeinsam frühstücken, bevor du gehst, okay?« Bittend sah ich sie an.
Paula betrachtete mich einen Augenblick, seufzte leise und nahm wieder Platz. »Gut, aber bitte fang nicht wieder davon an. Ich weiß, was ich tue, auch wenn ich erst achtzehn bin.«
»Schon achtzehn, mein Schatz, schon. Manchmal wünschte ich, du wärst wieder fünf oder sechs.«
»Echt jetzt?« Paula schüttelte entrüstet den Kopf. Dann lachte sie, wobei ihre schulterlangen, blonden Locken nur so flogen. »Gerade vor ein paar Wochen meintest du noch, wie sehr du dich für mich freust, den Führerschein geschafft zu haben.«
»Das stimmt auch. Darüber bin ich auch sehr froh. Es macht mich stolz, sehr sogar. Da fällt mir ein, hast du mit deinem Vater gesprochen?«
»Nein, noch nicht.« Paulas Antwort kam zögerlich und sie sah mich dabei nicht an. »Ich habe beschlossen, ihn nicht anzurufen. Ich werde mir ein kleines, günstiges Auto von meinem eigenen Geld kaufen.«
Paula nannte ihren Erzeuger stets nur Tom. Das Wort Papa oder Vater hatte sie nur während ihrer ersten Lebensjahre benutzt, später war er lediglich Tom für sie - ein Mann, der pünktlich seine Unterhaltszahlungen überwies und es uns so ein wenig leichter machte. Und obwohl Tom einige Versuche unternommen hatte, zu Paula eine Vater-Tochter-Beziehung aufzubauen, schien sie daran kein Interesse zu haben. Daran war nicht zuletzt Tom selbst schuld, der Paula bei einem seiner Besuche - sie war damals zwölf gewesen - ganz stolz ein Bild seiner neuen Familie gezeigt hatte. Paula war völlig verstört nach Hause gekommen und hatte mir erzählt, zwei Stiefgeschwister zu haben und wie glücklich sie zusammen mit IHREM Vater und seiner neuen Frau ausgesehen hätten.
»Verstehe«, murmelte ich nachdenklich. Wieder einmal zeigte sich deutlich, wie wenig Paula von ihrem Vater hielt. Sie wollte ihm nichts schuldig sein und noch nicht einmal das versprochene, erste Auto von ihm annehmen. »Weißt du schon, welches Modell es werden soll?«
»Och, halt so ein älteres Modell, vielleicht ein VW Polo oder ein Opel Corsa. Sowas kleines eben.«
Ich sah sie alarmiert an. »Wie meinst du das, ein älteres Modell? Wie alt?«
»Keine Ahnung. Eben alt genug, damit ich es mir leisten kann. Max wird mir bei der Suche helfen und sich das Auto anschauen, bevor ich es kaufe, also keine Bange.«
Max. Schon wieder er. Ich schluckte meinen Ärger hinunter und zählte innerlich bis zehn. Es wäre schön gewesen, wenn sie mich zuerst gefragt hätte. »Wisst ihr denn, auf was ihr achten müsst?« Bleib ruhig und lass sie erst ausreden.
»Keine Ahnung«, gab Paula zurück. Es war ihr anzuhören, wie genervt sie von meiner Fragerei war. »Aber darüber kann ich mich ja vorher informieren.« Sie sah mich mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck an. »Alles besser, als Tom zu fragen, findest du nicht? Ich möchte nichts von ihm. Und schon gar nicht so etwas Großes.«
Okay, das konnte ich sogar verstehen. Allerdings würde sie dafür ihre Ersparnisse opfern, die sie dringend für ihr Studium benötigte.
»Mhm.« Vorsichtig, ermahnte ich mich selbst. Jetzt bloß nicht vorwurfsvoll werden. »Was hältst du eigentlich von einer Jahreskarte für die Straßenbahn? Wenn du hier zur Uni gehst, brauchst du gar kein Auto, oder?«
»Nein, nicht unbedingt«, gab Paula widerwillig zu. Dann sah sie auf ihren Kaffeebecher und fügte leise hinzu: »Aber was ist, wenn ich auf eine andere Uni gehe?«
Mir blieb fast das Herz stehen. Natürlich hatte ich so etwas schon befürchtet, doch meine Sorgen immer wieder abgetan. Weshalb sollte meine Paula so etwas tun, wenn die Unis hier in der Gegend genauso gut waren? Alleine die Vorstellung, sie nicht mehr jeden Tag um mich herum zu haben, tat unendlich weh, doch damit musste ich mich früher oder später wohl sowieso auseinandersetzen.
Und als ob meine Tochter ahnte, dass genau dieses Problem mich gerade innerlich zerriss, sagte sie: »Weißt du was? Ich komme mit ins Kino. Ich sag‘ Max schnell Bescheid und dann suchen wir uns einen Film aus, okay?«