Weil ich dir traue (JumpSquad 1)

Daniel

 

»Lass mich los!«

Eine schrille Stimme dringt an mein Ohr. Meine Bierflasche, die ich gerade an den Mund führen wollte, erstarrt in der Luft und ich runzle die Stirn. Das klingt nicht nach Spaß. Ganz und gar nicht. Das Geplapper um mich herum verblasst, als ich horche, ob das Geschrei noch einmal ertönt.

Was es tut.

»Ich sagte, du sollst aufhören!«

Mit einem lauten Knall landet das Astra auf der Fensterbank hinter mir und ich beginne, den Raum systematisch zu scannen. 

Unmengen von Menschen tummeln sich im Wohnzimmer, dringen in den Flur und nach draußen auf die Terrasse. Viele Gesichter kenne ich zumindest flüchtig, aber es gibt genug Menschen hier, die ich noch nie in meinem Leben gesehen habe. So läuft das, wenn jeder irgendwen mitbringt - und das ist auch in Ordnung. Wenn wir eine Party schmeißen, dann richtig. Wir wollen Spaß. Jeder bringt etwas zu trinken und gute Laune mit, der Rest läuft gewöhnlich von alleine.

Allerdings gibt es Regeln. Und Frauen, die sich beschweren, weil jemand Dinge tut, die sie nicht wollen, fallen eindeutig unter »nicht erlaubt«.

Mein Kiefer spannt sich an, als mein Blick auf die Nische zwischen Schrank und Fenster fällt, nahe der Tür. Dort scheint es ein kleines Gerangel zu geben.

Ich setze mich in Bewegung.

Gelächter dringt an mein Ohr, Wortfetzen, Leute, die nach mir rufen, doch ich reiße mich los, ignoriere die anderen und steuere den Rücken eines Kerls an, der mir nur allzu bekannt ist. Tiefsitzende Baggyhosen, Käppi auf dem Kopf. Das kann nur Benny sein. Und er hat sich vor einer Frau aufgebaut, die vorhin noch geschrien hat, verdammt nochmal!

»Hey, tu nicht so«, höre ich ihn sagen. Er klingt ziemlich betrunken und scheint den Ernst der Lage nicht zu erkennen. »Gerade hast du doch nicht so zurückhaltend gewirkt - hey!«

Er schreit los, als ich ihn mit einem einzigen Ruck von dem Mädchen fortzerre, das er bis eben noch mehr als effektiv vor mir verborgen hat. Wut blitzt in seinen Zügen auf, erlischt jedoch sofort, als er mir ins Gesicht blickt. Seine Augen sind trübe, das kann ich selbst im Dämmerlicht des Wohnraums erkennen.

»Was geschieht hier, Benny?«, knurre ich ihn an. »Ich habe Geschrei gehört. Du weißt, dass ich so eine Scheiße nicht in meinem Haus will.«

Ich bin mir sicher, dass von ihm keine Gefahr mehr droht. Er ist eigentlich in Ordnung. Schlägt manchmal ein bisschen über die Stränge. Ist ziemlich aufgekratzt, weil er sich in letzter Zeit ganz gut mit Timo angefreundet hat und deshalb häufiger hier ein und aus geht, als mir lieb ist. Nach heute umso mehr. 

Aber eigentlich ist er harmlos.

Ich wende mich dem Mädchen zu, das er offensichtlich eben noch bedrängt hat, um ihr zu versichern, dass nun alles in Ordnung ist, um mich für sein Verhalten zu entschuldigen oder was auch immer - und erstarre in meiner Bewegung. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich dämlich aussehen muss, als sich mein Mund öffnet, ohne dass mir auch nur ein Laut entfährt, denn das, was ich nun vor mir sehe, raubt mir im wahrsten Sinne die Worte.

Vor mir steht ein Mädchen, das ich mit Sicherheit noch nie zuvor gesehen habe. Es geht einfach nicht anders, denn ich bin mir absolut sicher, dass sie mir sonst im Gedächtnis geblieben wäre. Als allererstes fällt mir ihr Haar auf. Es ist feuerrot und fällt in weichen Wellen auf ihre Schultern und darüber hinaus. Selbst im trüben Licht erkenne ich, dass ihr Gesicht von einer tiefen Röte überzogen ist, wodurch die Unmengen an Sommersprossen nur noch betont werden, die nicht nur ihr Gesicht, sondern auch ihren Hals und den Teil des Dekolletees bedecken, den ihr schwarzes Shirt entblößt. Ihr Mund ist aufgerissen, scheint mich zu kopieren, und ihre Lippen sind voll und sinnlich. Aus großen, hellblauen Augen starrt sie mich an, wirkt verwirrt, vielleicht auch ein bisschen verängstigt, und sie presst sich flach an die Wand, als würde sie dadurch Halt gewinnen.

»Ist alles okay?«, bringe ich schließlich hervor. Ich fühle mich seltsam peinlich berührt, ein Gefühl, das ich nur selten empfinde. Viel zu lange habe ich sie angestarrt, ohne ein Wort zu sagen. Außerdem halte ich noch immer Benny am Ellenbogen fest, der sich jetzt räuspert und dann von mir löst.

»Bin mal weg. Nichts für ungut, Alter.«

Er taucht in der Menge ab - und plötzlich bin ich mit dem Mädchen alleine, das noch immer ziemlich eingeschüchtert wirkt und kein Wort über die Lippen bringt.

»Ich hoffe, er hat dir nicht wehgetan?«, versuche ich es erneut, und diesmal erzeuge ich eine Reaktion.

Das Mädchen schüttelt kaum merklich den Kopf - und ich atme erleichtert aus. Man kann sich schließlich nie ganz sicher sein.

»Okay. Also ...« Plötzlich überspült mich Verlegenheit. Ich kratze meinen Nacken, werfe einen Blick über meine Schulter, sehe all die Leute, die ausgelassen plaudern und trinken, als wenn sie diese kleine Szene hier gar nicht bemerkt hätten. Dann drehe ich mich wieder zu dem Mädchen um. Spontan fasse ich einen Entschluss. »Komm, ich hole dir was zu trinken.« Meine Hand schießt hervor, ich ergreife ihren Arm, will sie in die Küche lenken, doch als sie unter meinen Fingern stocksteif wird, lasse ich sie ebenso schnell wieder los. Unsere Blicke treffen sich, und die Intensität ihrer Augen raubt mir den Atem. Verwirrt über meine heftige Reaktion drehe ich mich um und lenke meine Schritte Richtung Flur, ohne noch einmal zu überprüfen, ob sie mir folgt oder nicht.

Ich hoffe sehr, dass sie es tut.

 

* * *

 

Die Küche ist leer, als ich sie betrete, was einem kleinen Wunder gleicht. Noch immer sind meine Züge zu einem Feixen verzogen, weil ich Maik in Action im Flur entdeckt habe - die Zunge tief im Hals einer kleinen, etwas pummeligen Studentin. Schon jetzt bin ich mir sicher, dass die zwei bald nach oben verschwinden werden, und morgen eine neue Kerbe in Maiks Bettpfosten sein wird. Der Kerl lässt nichts anbrennen. Und sonderlich wählerisch ist er auch nicht.

Er spricht gerne davon, dass er eine Mission hat. Er verteilt seine Liebe. Nur, dass seine Liebe sich einzig auf den Bettsport bezieht. So ist er, der kleine Casanova.

Nun habe ich jedoch anderes im Sinn, als mich mit den Leidenschaften meines Mitbewohners zu beschäftigen. Ich gehe zwei weitere Schritte hinein in das Chaos, was eigentlich unsere Küche darstellt, und drehe mich dann zu dem Mädchen um, das mir zum Glück gefolgt ist. 

Grinsend hebe ich meine Arme und deute einmal um mich. »Willkommen im Paradies der Schnapsnasen.« Ich zwinkere ihr zu, frage mich, wieso dabei mein Bauch so hüpft, und füge dann noch hinzu: »Und Biertrinker. Oder Wein. Was auch immer.«

Ihre Mundwinkel zucken kurz nach oben, was ich mit einem zufriedenen Nicken quittiere. Ziel erreicht.

»Was möchtest du trinken? Oder, warte. Lass mich einfach etwas mixen, ja? Ich habe so eine Vorstellung, was dir schmecken könnte.«

Ich versuche tatsächlich, mit ihr zu flirten, irgendwie. Als ich sehe, wie erneut ein blasses Rosa in ihr Gesicht steigt, klopft mein Herz schneller. Es hat etwas verdammt Attraktives, wenn sie errötet, und das Beste ist, dass ich mir sicher bin, dass sie sich dessen nicht bewusst ist.

Wer ist sie? Warum habe ich sie noch nie zuvor gesehen? Wie ist sie hierhergekommen? 

All diese Fragen liegen auf meinen Lippen. Ich will sie stellen. Ich muss sie stellen. Aber für den Moment wende ich mich erst einmal dem wilden Flaschengewirr zu und mixe eine Art alkoholischen Kiba zusammen. Keine Ahnung wieso, aber sie scheint mir eine Süße zu sein.

Vielleicht, weil sie auf mich so verdammt süß wirkt.

Mit dem fertigen Glas und einer neuen Flasche Astra wende ich mich ihr wieder zu. Sie lehnt am Tresen neben der Spüle und schaut mich aus ihren großen, blauen Augen an, als wüsste sie nicht, wie sie hier eigentlich gelandet ist. In diesem Punkt fühle ich mich ähnlich - die Situation kommt mir surreal vor. Die Gefühle, die mich durchströmen, kommen mir surreal vor. Denn obwohl ich sie nicht kenne, obwohl ich bisher kaum ein Wort mit ihr gewechselt habe, strahlt sie etwas aus, das mich anzieht. Mich fasziniert.

»Auf den Abend!«, murmele ich und stoße meine Flasche gegen ihr Glas. Sie erwidert den Toast und hebt dann den Drink an ihre rosa glänzenden Lippen. Ich möchte aufstöhnen, weil alleine diese Bewegung so widersprüchlich sinnlich und unschuldig wirkt, und setze die Flasche an. Während wir beide einen Schluck nehmen, bricht unser Blickkontakt nicht ab. Der Moment hat etwas erschreckend Intimes, und ich spüre, wie meine Haut zu prickeln beginnt. Ein Gefühl, das ich schon verdammt lange nicht mehr empfunden habe.

»Hör mal«, sage ich schließlich. »Ich glaube, wir kennen uns noch gar nicht offiziell -«

Ehe ich weiterreden kann, platzt plötzlich eine ganze Horde Leute in die Küche, stürzt sich förmlich auf mich und auf die Alkoholvorräte. 

»Yo, Daniel!«, ruft einer von ihnen. »Das neue Video ist der Hammer! Ernsthaft, ich finde, dass ihr euch noch einmal deutlich gesteigert habt!«

Sie umringen mich, sie reden auf mich ein. Der Moment hätte nicht effektiver zerstört werden können. Suchend wende ich meinen Blick in die Richtung, wo bis eben das Mädchen gestanden hat, doch ich erblicke gähnende Leere.

Und ihren Cocktail, von dem sie nur einmal genippt hat, in jenem intensiven, atemberaubenden Moment. Schwach erkenne ich Spuren von Lippenstift.

Das ist alles, was mir bleibt. 

Ich kenne nicht einmal ihren Namen.

Schreiben - das ist mein Traum, mein Lebensinhalt. Seit 2013 veröffentliche ich meine Geschichten. Weil es Spaß macht und weil ich euch schöne Stunden bescheren möchte!

Mein Leitspruch:


"Wenn du es träumen kannst, kannst du es auch tun."
(Walt Disney)

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